Vortrag: Hirnfunktionelle und hirnstrukturelle Korrelate der Sprachentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Legasthenie
Dr. Jens Brauer ist Forschungsgruppenleiter vom Neuroscience of Language Develpment des Max Planck Institute for Human Cognitive And Brain Sciences in Sachsen. In seinem höchstinteressanten Vortrag „Hirnfunktionelle und hirnstrukturelle Korrelate der Sprachentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Legasthenie“ bei der 22. Fachtagung des EÖDL (wir berichteten) erzählte Dr. Brauer über die Zusammenhänge von Sprachentwicklung mit der Möglichkeit, Legasthenie vorauszusagen.
Zunächst stellte Dr. Brauer Auszüge aus seiner Forschung vor. So stellte er das Segmentations- und Kodierungsproblem dar, welche sich von Sprache zu Sprache unterscheiden. Danach ging er auf die Forschungsfragen über Spracherwerb und Sprachentwicklung wie:
- Welche Zeitfenster der Kindesentwicklung sind für Sprachentwicklung besonders wichtig?
- Welche Hinweisreize in der Sprache lernen Kinder wann zu nutzen?
- Welche Entwicklungschritte (z.B. der allgemeinen kognitiven Entwicklung oder auch der Hirnentwicklung) sind dabei Voraussetzung oder Folge?
- Wie entwickeln sich die wichtigen Schritte des Spracherwerbs: Lauterkennung, Worterkennung, Wortverstehen, Semantik, Syntax
- Lernen Kleinkinder durch direkten menschlichen Kontakt mehr als
vorm TV?
Um diese Fragen beantworten zu können, gibt es verschiedene Untersuchungsmethoden wie Verhaltensbeobachtung, computergestützte Verhaltensbeobachtung, EEG, MEG, usw., welche Dr. Brauer kurz darstellte.
Wenn man über Hirnforschung redet, gibt es notwendigerweise auch einen kleinen Exkurs über die Anfänge der Hirnforschung. Basierend auf den Erkenntnissen von Broca und Wernicke stellte Dr. Brauer seine eigenen Erkenntnisse dar: „Funktionelle Aktivierung während der Sprachverarbeitung
findet sich vor allem im linken IFG (Broca-Areal) und im linken STG/STS (Wernicke-Areal). Bestimmte Hirnregionen innerhalb dieses Netzwerks sind für die unterschiedliche Aspekte der Sprache wie Syntax und Semantik spezialisiert. Diese Spezialisierung ist als ein Prozess in der Sprachentwicklung zu verstehen.“
Daraufhin ging Dr. Brauer auf die funktionelle Konnektivität im Sprachnetzwerk ein. So haben seine Untersuchungen gezeigt, dass das funktionelle Netzwerk sprachverarbeitender Hirnregionen im Alter von 5 Jahren noch keine ausgereifte frontotemporale Konnektivität zeigt, wie sie im Erwachsenengehirn zu finden ist. Allerdings wächst die funktionelle Konnektivität des Sprachnetzwerkes signifikant vom Alter von 5 Jahren bis zum Alter von 6 Jahren. Diese Veränderungen zeigen sich in der fronto-temporalen Konnktivität zwischen Broca- und Wernicke-Areal und reflektieren sich in einer Zunahme der Sprachverstehensleistung. Dr. Brauer betonte auch die Wichtigkeit der sozialen Interaktion auf den Spracherwerb. „Direkte soziale Interaktion ist ein wichtiger Baustein für den Spracherwerb. Soziale Interaktion muss kontingent und direkt sein, um für den Spracherwerb nutzbar zu sein. Das Kind vor dem Fernseher ist keine sinnvolle Lernsituation für Sprache.“
Richtig spannend wurde es dann, als Dr. Brauer die Frage nach der Vorhersage der Sprachkomplexität der Kinder stellte und wie diese mit Legasthenie zusammenhängt. Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass bereits bei Vorschulkindern mit familiärem Risiko für Legasthenie sich neuroanatomische Besonderheiten feststellen lassen.
Dr. Brauer versteht es hervorragend, diese komplexe Thematik doch auf verständliche Weise darzustellen. Wir sind auf jeden Fall gespannt auf die weiteren Forschungsergebnisse von Dr. Brauer und seinem Thema und was dies in Zukunft für die betroffenenen Kinder und Erwachsene bedeutet.
Die Folien zum Vortrag finden Sie hier: Hirnfunktionelle und hirnstrukturelle Korrelate der Sprachentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Legasthenie